Unsere Titel-Themen unserer Ausgabe vom September 2019 unter dem Motto "Natur".


Kraftvoll, wild, liebenswert

Die Großtrappe gilt als stark bedroht. Im Fiener Bruch ist sie dank gemeinsamer Bemühungen von Vogelschützern und Landwirten heimisch.

Frühmorgens im Jerichower Land. Auf dem Königsroder Hof am Rand des Fiener Bruchs kräht ein Hahn, Hennen gackern, Schafe blöken. Ansonsten herrscht absolute Stille. In der Ferne weiden Rinder, während ein leichter Windzug über die ausgedehnten Wiesen streift und das Gras in große Wellen versetzt. „Weitläufigkeit ohne Bäume und hohe Hecken, flaches Grasland so weit das Auge reicht – genau so mögen es unsere Schützlinge“, sagt Naturschützerin Anna Marinkó vom Förderverein Großtrappe e. V., mit der wir heute verabredet sind, um diese großen, aber scheuen Vögel zu beobachten. Großtrappen sind mit einer Flügelspannweite von bis zu zweieinhalb Metern imposant und zählen weltweit zu den schwersten flugfähigen Vögeln überhaupt. Allerdings sind die braun-weiß gefiederten Steppenvögel in vielen europäischen Ländern inzwischen ausgestorben oder akut bedroht. Auch in Deutschland sind die Vögel selten geworden. Von ehemals 30 Gebieten, in denen Großtrappen zu finden waren, sind laut Bundesumweltministerium nur drei übrig geblieben: das Havelländische Luch, die Belziger Landschaftswiesen und das Fiener Bruch. Im hiesigen Vogelschutzgebiet gibt es nach neuesten Zählungen noch 107 Exemplare – rund ein Drittel des gesamtdeutschen Bestands.



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Aus Kraft und Licht gewoben
Es war die Großtrappe, die Anna Marinkó nach Deutschland lockte. „Ich habe im Nationalpark Bükk, im Nordosten Ungarns, meine Masterarbeit angefertigt. Dort lebten nur noch 15 dieser Prachtexemplare“, erzählt die gebürtige Ungarin auf dem Weg zum nahegelegenen Beobachtungsturm. Mit einem Stipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt kam die heute 32-Jährige 2012 nach Deutschland, um hier den Großtrappen nachzuspüren. Während Anna Marinkó ihr leistungsstarkes Fernrohr aufbaut, erklärt sie: „Wer Großtrappen sehen will, muss einen Abstand von 300 bis 400 Metern einkalkulieren. Weniger akzeptieren die Vögel nicht.“ Vorsichtige Beobachter werden besonders in der Balzzeit ab Ende März bis Mitte Mai mit einem einzigartigen Schauspiel belohnt. Die Hähne geben nämlich alles, wenn es darum geht, die Mutter ihrer künftigen Nachkommen von sich zu beeindrucken. Tänzelnd strecken sie ihre weißen Hälse in die Höhe, plustern ihr üppiges Gefieder auf und lassen es in der Sonne leuchten. „Ich bewundere die Kraft und Wildheit, die von den Trappen ausgeht. Wenn sie balzen, sind sie wie aus Licht gewoben“, schwärmt Anna Marinkó. Nach dem Balzspektakel gehen die Hähne ihrer Wege und überlassen den Hennen das Ausbrüten und Aufziehen der Küken.

In die Mutterrolle geschlüpft
Vor vier Jahren kam Anna Marinkó ins Fiener Bruch, wo sie sich seither gemeinsam mit ihren Vereinskollegen um das Wohlergehen der Trappen kümmert. Dazu gehört auch die Auswilderung der in Brutkästen geschlüpften Küken. „Großtrappenküken brauchen ihre Mütter, die sie füttern und ihnen den Weg ins Leben weisen. Diese Rolle übernehmen wir an dieser Stelle – gehüllt in ein minzgrünes Ganzkörperkostüm, das die Küken seit ihrer Geburt kennen“, beschreibt Marinkó das Vorgehen. So verhindern die Vogelschützer, dass sich die Küken zu sehr auf den Menschen prägen. Während der dreimonatigen Auswilderungsphase gehen Anna Marinkó und ihre Kollegen jeden Tag mehrere Stunden mit den Jungvögeln spazieren. Die kleinen Trappen sollen so lernen, alleine Futter aufzunehmen und Gefahren zu erkennen.

Streifen erwünscht
Außerhalb des 19 Hektar großen eingezäunten Schutzbereichs werden nicht nur Fressfeinde wie Marder und Fuchs den Tieren gefährlich. „Die größte Bedrohung für die Art liegt darin, dass ihr Lebensraum schrumpft“, klärt Anna Marinkó auf. Die Vögel fänden auf den landwirtschaftlichen Monokulturflächen einfach nicht genügend Nahrung. Helfen würden allerdings bereits Grünstreifen, die die Landwirte bei der Bewirtschaftung ihrer Felder stehen lassen. Die Expertin ist sich sicher: „Die Erhaltung der Großtrappe funktioniert langfristig nur, wenn wir ihren Lebensraum erhalten.“ Eine Aufgabe, die nur gemeinsam angepackt und gelöst werden kann.




Nachgefragt bei

Hendrik Watzke - Geschäftsführer des Fördervereins Großtrappenschutz e.V.

Was hilft den Großtrappen derzeit am meisten?
"Mit unseren rund 80 Vereinsmitgliedern versuchen wir unter anderem, ihren Lebensraum so zu gestalten, dass sie in Ruhe brüten und ihre Jungen aufziehen können. Im Fiener Bruch, zwischen den Ortschaften Genthin, Karow, Tucheim, Paplitz und Ziesar auf Brandenburger Seite, haben wir ein etwa 19 Hektar großes umzäuntes Schutzgebiet angelegt, das die Großtrappe vor Bodenfeinden schützt. Inzwischen ist der Bestand hier deutlich gewachsen."

Allerdings fliegen die Trappen auch woanders hin. Was passiert dann?
Gelege, die wir außerhalb finden, sammeln wir ein. Die Eier werden in unserer Station ausgebrütet und die Küken dann im Schutzgebiet ausgewildert. Natürlich finden wir nicht alle. Deshalb sind wir auf die Kooperation der Landwirte angewiesen, die relevanten Flächen so lange in Ruhe zu lassen, dass Trappen 24 Tage brüten und ihre Küken dann acht bis zehn Wochen aufziehen können. Auch müssen die Vögel ausreichend Nahrung wie Insekten und Pflanzen finden. Förderprogramme schaffen hier einen gewissen Ausgleich für die Landwirte. Dennoch ist immer auch deren Überzeugung für den Artenschutz gefragt.

Was haben die Einwohner vor Ort davon?
Sie können sich nicht nur an den Großtrappen erfreuen, sondern auch an einer reichen Naturlandschaft. Denn mit dem Schutz der Trappen erhalten wir zugleich den Lebensraum für zahlreiche weitere Vogel-, Pflanzen- und Insektenarten. Ich denke da zum Beispiel an die Feldlerche, das Rebhuhn oder den Brachvogel. Mit seiner Vielfalt ist das Jerichower Land außerdem zum Anziehungspunkt für Naturtouristen geworden. In den vergangenen Jahren haben wir Besucher aus 49 Ländern gezählt, die sich für unsere Schutzgebiete interessierten. Unsere Führungen zu den Großtrappen sind fast immer ausgebucht.


Superfood aus Parchen

Ernst-Adolf Kampe experimentiert in seiner Leinölmühle erfolgreich mit Leinsamen, Buchweizen & Co.

Veganes Leinölschmalz, Grünhafertee, koffeinfreier Lupinenkaffee, Buchweizenknabberkerne für zwischendurch, Brennnesselsamen für Suppen, Salate oder Müsli – das Jerichower Land sei reich an natürlichen Schätzen, man müsse nur hingucken und Ideen haben. Und den Mut, sie auszuprobieren. Ernst-Adolf Kampe hat beides. Er experimentiert mit allem, was der Boden seiner Heimat hergibt. In Parchen, seinem Heimatort, hat der studierte Landtechniker auf dem Gelände eines ehemaligen Spargelbetriebes eine Leinölmühle aufgebaut. Beim Rundgang über das weitläufige Areal, zu dem auch etliche Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche gehören, erzählt er, wie er zum Leinöl gekommen ist. Aufgrund der Getreideüberschüsse Ende der 90er Jahre habe eine EU-Kampagne dazu aufgerufen, Ölsaaten anzubauen. „Da haben dann alle Leinsamen angebaut. Allerdings haben ihn die meisten nicht geerntet, weil gar kein Bedarf dafür vorhanden war. Ich schon.“ Seit 15 Jahren beschäftigt sich Kampe also in Parchen mit Leinöl. Seit rund acht Jahren lässt er seinen Rohstoff auch noch bei zwei befreundeten Bauern vor Ort anbauen. Sie finden seine Idee gut. „Da in Deutschland rund 90 Prozent des Leinsamens importiert werden, gelten wir mit unserem regionalen Anbau aber als Exoten“, erklärt der Mühlenchef achselzuckend.



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Flüssiges Gold
Auf Kampes T-Shirt prangt sein Arbeitsmotto: „Leinsamen macht glücklich.“ Leinöl wiederum ist gut für die Gesundheit. Das goldgelbe Öl verfügt über einen hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren. Deshalb kommt es bei Kampe auch jeden Morgen auf den Frühstückstisch. Dazu gibt es eine Scheibe frisches Roggenbrot, selbst angebaute frische Tomaten und Gurken, Lachs und Ei und der neue Tag kann starten. Zum Braten ist Leinöl übrigens nicht geeignet. „Das Erhitzen zerstört die Omega-3-Fettsäure“, erläutert der Experte. Deshalb darf Leinöl auch nicht bei mehr als 40 Grad Celsius gepresst werden. „Es würde sonst bitter schmecken“, weiß Kampe. Das schätzen auch seine Kunden, die nach Parchen in den Laden kommen, online bestellen oder auf Märkten in Potsdam, Magdeburg und Berlin kaufen.

Klein, fein und regional
Mittlerweile entstehen immer mehr Ölmühlen, die auch Leinöl produzieren. Der Wett-bewerb habe sich mindestens vervierfacht. Gesunde Ernährung liegt im Trend. Kampe zuckt die Schultern und vertraut darauf, dass seine Kunden die regionale Herkunft seiner Produkte schätzen: „Ich bin in der Lage, an meine Ölflasche ein Leinsamenpflänzchen anzuschweißen. Das können alle anderen nicht, weil sie gar keine Leinsamenpflanzen haben.“ Ein Tipp für Genießer: Immer donnerstags gibt es in der Leinölmühle Parchen Pellkartoffeln mit Leinöl und Quark.
Mit seinem selbstgepressten Leinöl hat Kampe aber noch lange nicht genug: Er baut unter anderem auch Buchweizen, Roggen, Lupinen und Ölkürbisse an. Früchte, die gut auf dem sandigen Boden des Jerichower Landes gedeihen. „Buchweizen ist ein Pseudogetreide, ohne Gluten, und damit mittlerweile zum neuen Superfood geworden“, sagt er. Auf seinen Feldern wächst er bereits seit 2011. Zumal sich die Frucht auch sehr gut als Bienenweide eigne. Buchweizen blühe ab Mitte Juli, wenn die Insekten anderswo kaum noch Nahrung finden. „Ich möchte meinen Beitrag dazu leis­ten, unseren Lebensraum hier vor Ort auch für künftige Generationen zu erhalten“, sagt der 57-Jährige. „Zudem geht es mir nicht um Massenproduktion. Klein, aber fein. Und regional. Das ist mein Konzept. Und dazu gehört immer auch eine große Portion Leidenschaft.“ Diesen Sinn für die Natur vor der eigenen Haustür versucht Kampe auch den Schulklassen zu vermitteln, die zu Besuch kommen und gemeinsam Essen aus regionalen Zutaten kochen, Mähdrescherfahrten über die Äcker unternehmen oder auf Kremserfahrt gehen.

Reiches Land
Zum Schälen seines Buchweizens hat Kampe sich gerade eine Schälanlage angeschafft und eigens dafür eine neue Halle gebaut. Im Oktober geht es los. Auch damit ist er deutschlandweit einer der Vorreiter. Man darf gespannt sein, auf welche Ideen Ernst-Adolf Kampe in Zukunft noch kommen wird, denn fertig ist er noch lange nicht. „Unser Land hier hat so viel zu bieten, da fallen mir noch tausend andere Dinge ein“, schmunzelt der Tüftler.




Schöner unterwegs

Raus aus dem Stau und ab in die Natur! Wer das Auto einfach mal stehen lässt, kann die Heimat neu entdecken – zu Land und zu Wasser. Zwei Erfahrungsberichte.

Bereits seit ihrer Kindheit tritt Hildegard Uhden gern und regelmäßig in die Pedale. „Radfahren hält mich fit“, sagt die leidenschaftliche Radlerin und fügt hinzu: „Außerdem komme ich hier bei uns in der Gegend auf zwei Rädern so ziemlich überall hin.“ Geboren in Ludwigslust, führte es die heute 69-Jährige nach Abschluss ihres Ökonomiestudiums nach Burg. Heute engagiert sie sich als Vorsitzende des Heimatvereins Reesen und ist auch stellvertretende Bürgermeisterin des Ortes, in dem sie seit 1992 lebt.

Einfach mal anhalten
Gibt es etwas zu erledigen, ist die 1,50 Meter kleine, agile Frau fast immer mit ihrem Minibike unterwegs. Nach ihrem Schlüssel zur Radellust befragt, antwortet Hildegard Uhden: „Ich betreibe keinen Leistungssport, sondern genieße beim Radfahren die Natur. Wer nur ans Ziel kommen will, wird das Radeln nicht lieben.“ Im Jerichower Land gebe es wunderbare Ausflugsziele, erzählt Hildegard Uhden. Etwa von Burg aus am Kanal entlang in Richtung Hohenwarthe. Die Strecke ist gut ausgebaut und auch mit Kindern zu bewältigen. Von Burg startet die kundige Radlerin immer am Kanal entlang und hat dabei meist die Wassersportler im Blick. Gerade im Sommer ist die Strecke dank der Wassernähe und des Schattens der Bäume reizvoll. Beim Anstieg zur Schleuse Hohenwarthe gilt es dann, etwas stärker in die Pedalen zu treten – das ist aber auch schon die größte Herausforderung auf der gesamten, rund 30 Kilometer langen Tour. Am Ziel wartet unter anderem die Waldschänke für eine Stärkung. Auf dem Rückweg geht’s dann über die Trogbrücke. Von hier oben genießt Hildegard Uhden den Blick ins Jerichower Land, bevor es dann auf dem Waldweg Hohenwarthe in Richtung Lostau über Schermen und Detershagen zurück nach Burg geht, mit einem Zwischenstopp am Rastplatz Alt-Lostau.



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Da geht noch was
Auch vor weiteren Strecken scheut die Seniorin nicht zurück. „Wir haben in Stendal, woher mein zweiter Mann stammt, einen Garten“, erzählt die Burgerin. Die 60 Kilometer dorthin radelt sie. „In drei bis dreieinhalb Stunden bin ich da und dann wird gegärtnert.“

Zu Hause auf dem Boot
Karl-Heinz Auerswald, von allen nur Kalle genannt, hat am und auf dem Wasser seine zweite und, wie er sagt, endgültige Heimat gefunden. Sein schwimmendes Zuhause hört auf den Namen „Sarah“ und liegt am Niegripper See vor Anker. So oft es geht, ist der 84-Jährige gemeinsam mit Ehefrau Roswitha mit dem Boot unterwegs.

Lebenselixier Wasser
Geweckt wurde seine Leidenschaft vor vielen Jahren während eines Kroatienurlaubs, als er sich ein kleines Schlauchboot zulegte. „Wasser ist für mich Natur pur, mein Lebenselixier“, erzählt Kalle. Ursprünglich stammt der bekennende Bootsliebhaber aus Wernigerode, verbrachte aber, bevor es ihn ins Jerichower Land zog, viele Jahre in Wolfsburg. Durch Zufall stieß er bei einer seiner Bootstouren auf den Anleger am Niegripper See. Die schöne Umgebung ließ ihn nicht mehr los. „Nachdem man mir dort einen Liegeplatz zur Verfügung stellte, bin ich prompt geblieben.“ 22 Jahre lang. Vor vier Jahren zog er samt Wohnwagen auf den benachbarten Campingplatz.

Schwimmende Wohlfühloase
Die „Sarah“ ist sein drittes richtiges Boot. „Zuerst hatte ich ein 6,5 Meter langes Kajütboot“, erzählt der Wahl-Burger. Dann ein Mahagoniboot, das so lange im Einsatz war, bis das Holz dem Regen nicht mehr standhielt. Vor knapp 20 Jahren erwarb er sein heutiges Zuhause, das in den 70er Jahren in Burg vom Stapel lief. Vieles wie die gemütliche Sitz­ecke im Vorderteil ist Marke Eigenbau. Bettwäsche mit Bootsdekor verweist auf den Schlafplatz in der Bugspitze. Auf dem Sonnendeck verstaut Kalle die Fahrräder, wenn es mit Frau und Hund Teddy auf große Tour geht. „Von hier aus sind wir schon bis hoch nach Mecklenburg geschippert“, verrät er und richtet die Augen zufrieden auf die weite Wasserfläche vor sich.